Forschungsprojekte
Die Gruppe Spine Biomechanics besteht aus Ingenieuren der ETH Zürich und Chirurgen der Universitätsklinik Balgrist. Gemeinsam betreiben sie translationale Forschung an der Schnittstelle zwischen biomechanischer Grundlagenforschung und der Entwicklung von klinischen Anwendungen. Der interdisziplinäre Ansatz garantiert ein hohes Maß an Expertise, um relevante klinische Fragestellungen zu untersuchen. Die Gruppe hat ein voll ausgestattetes Wirbelsäulenlabor mit maßgefertigten Versuchsaufbauten für biomechanische In-vitro-Experimente etabliert, welches dem Standard der weltweit führenden Biomechanik-Labore entspricht. Die Einrichtungen wurden für eine Vielzahl von biomechanischen Studien an menschlichen Wirbelsäulen-Kadavern genutzt, um die menschliche Anatomie und Gewebeeigenschaften zu untersuchen und zu charakterisieren. Die daraus gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse fliessen in patientenspezifische, biomechanische Modelle ein, die zur Optimierung der präoperativen Operationsplanung genutzt werden.
Deep-Learning Pipeline für die automatisierte Auswertung von Wirbelsäulen-MRTs
Auf Basis von MRT-Aufnahmen klassifiziert die Deep-Learning-Pipeline automatisch den degenerativen Zustand lumbaler Bandscheiben.
Schmerzen im unteren Rückenbereich sind weltweit eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle und Arbeitsunfähigkeit und stellen somit eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die Gesellschaft dar. Die vielen möglichen Ursachen führen zu einer heterogenen Gruppe von Patienten. Klinische Leitlinien empfehlen üblicherweise, Patienten mit Kreuzschmerzen in eine von drei Gruppen einzuteilen (schwere Pathologie der Wirbelsäule (ca. 1-2%), Ischias/Radikularschmerz (ca. 5%) und unspezifischer Kreuzschmerz (>90%)). Diese unterscheiden sich in Erscheinungsbild, Diagnose und Behandlung, und die Pathoanatomie der Wirbelsäule muss für eine korrekte Diagnose oft sichtbar gemacht werden. Die Magnetresonanztomographie (MRT) gilt als Goldstandard für die Darstellung von degenerativen und pathologischen Prozessen in der Wirbelsäule. Die Korrelation zwischen MRT-Befunden und Kreuzschmerzen ist jedoch umstritten, denn das Vorhandensein von bildgebenden Veränderungen ist in der Allgemeinbevölkerung nur schwach mit Schmerzen assoziiert. Symptomatische Veränderungen lassen sich nicht mit Sicherheit von asymptomatischen pathologischen Veränderungen unterscheiden. So wird die Zuordnung zwischen MRT-Befunden und Schmerzen durch mehrere koexistierende pathologische MRT-Befunde derselben Wirbelsäule oder demselben Wirbelsäulensegment zusätzlich erschwert. Darüber hinaus gibt es nur wenig Literatur über die Beziehung zwischen Schmerzen und der Summe morphologischer Veränderungen.
In der klinischen Praxis sind die radiologischen Berichte typischerweise qualitativer Natur und beinhalten eine subjektive Beschreibung der Befunde. Dabei ist eine erhebliche Variabilität sowohl zwischen den Untersuchenden festzustellen. Quantitative Untersuchungsmethoden verwenden Standardmaße oder -klassifikationen, um morphologische Veränderungen innerhalb verschiedener Strukturen eines Wirbelsäulensegments zu beschreiben. Da die manuelle Auswertung quantitativer Daten sehr zeit- und arbeitsintensiv ist, gewinnt der Einsatz von Machine Learning als schnelle und effiziente Methode zur quantitativen Beurteilung großer Bilddatensätze immer mehr an Bedeutung. Davon verspricht man sich die Erkennung bestimmter Muster, die mit einer klinischen Präsentation in Zusammenhang stehen. Auch die Vorhersage von Operationsergebnissen nach verschiedenen Eingriffen könnte verbessert werden.
Mit dem Ziel, den gesamten Auswertungsprozess zu automatisieren, kombiniert die Pipeline mehrere aufgabenspezifische Deep-Learning-Modelle in einem Framework. Nach dem Training der Modelle auf Basis annotierter Patientendaten sind während der Ausführung keine weiteren manuellen Eingaben oder Annotationen erforderlich. Die Pipeline umfasst alle Schritte von der MRT-Eingabe bis zur Segmentierung und Klassifizierung der Bandscheibe (IVD) und bietet verschiedene radiologische Abstufungen degenerativer Veränderungen als Ausgabe (Abbildung 1).